Sonntag, 31. Oktober 2010

Is There A Ghost

Auf der Halbinsel bei Belfort. Die Bühne steht am seichten Sandufer, eingekeilt zwischen Bäumen und dem stillen Wasser des Sees. Die Helligkeit der dunstigen Luft birgt eine Ahnung, dass die Sonne dort oben stehen muss. Auf der Bühne sechs bärtige Männer unbestimmten Alters bei der Arbeit. Sie nennen sich Band of Horses. Es ist Sommer und auf dem mit Wiesen und Bäumen, kleinen Tälern und leichten Anhöhen durchzogenen Gelände des Eurockéennes de Belfort werden später um die fünfundsiebzigtausend Menschen gezählt. Vor der Scene La Plage sind es dagegen nur wenige hundert. Die meisten sind in diesem Moment zum Chapiteau im Herzen des Geländes gepilgert, um Pete Doherty zu sehen. Vielleicht um einmal mitzubekommen, welche künstliche Spannung sich herstellen lässt, wenn ein rein medial mythologisierter Charakter eben das tut, was von ihm erwartet wird. Er wäre gerne ein Rimbaud. Und sie verpassen ein einmaliges Schauspiel auf der Seeseite. Vom Himmel fällt der Regen wie Pulver herab. Im dämmrigen Licht und mit Hilfe der weißen Spots und dem großen schwarzen Vorhang hinter den Musikern sieht es aus als regnete es allein auf der Bühne. Die Band spielt Is There A Ghost und die Zuhörer schauen abwechselnd zur Bühne und einander an, als wollten sie etwas sagen, wofür sie aber auf die Schnelle nicht die richtigen Worte finden können. Wie unwirklich dieser Moment ist. Die Musik schwebt. Wie ein manisch gewordener Wal taucht sie auf und ab. Mit der Kraft und behäbigen Geschmeidigkeit wie sie nur große Tiere haben. Beim Abtauchen peitschen die Gitarren mit der Wucht einer mächtigen Schwanzflosse gegen das imaginär dräuende Wasser einer Sturzflut. Es sind zerbrechliche Songs, die Ben Bridwell singt, lose zusammengehalten von seiner Stimme und dem fragilen Überbau der Instrumentierung. Aber sie brechen nicht auseinander. Es ist, als halte sie in diesem Augenblick der Nieselregen zusammen. Als ergebe das Licht, die klamme Feuchtigkeit, die Musik und man selbst, mit dem Sand unter seinen Füssen, eine zwingende Einheit. Wie ein Kitt, der alles zusammenhält. Es ist, als gehöre all das zum alltäglichen Bühnenbild dieser Band. - Das nächste Mal in einem Club oder einer Halle würde es mit Sicherheit dasselbe sein.

© M. Moravek